"PISA für Erwachsene": OECD-Studie zeigt starkes Leistungsgefälle in Deutschland
Unter Erwachsenen in Deutschland klaffen die Leistungen bei Textverständnis und Mathematik weit auseinander. Das zeigt eine am Dienstag vorgestellte OECD-Studie, die auch als "PISA für Erwachsene" bekannt ist. Die Diskrepanz in Deutschland sei sehr groß, sagte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. "Das Leistungsniveau der Erwachsenen ohne Schulabschluss ist sehr schwach." Auch die familiäre Herkunft spiele eine große Rolle. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland insgesamt im Mittelfeld.
An der auch als "PISA für Erwachsene" bezeichneten Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nahmen 160.000 Menschen im Alter von 16 bis 65 Jahren aus insgesamt 31 Ländern teil. Sie mussten in Tests Fähigkeiten zeigen, die für den Alltag und den Arbeitsmarkt als wichtig gelten. So mussten sie ihr Textverstehen unter Beweis stellen sowie mathematische Aufgaben mit Alltagsbezug lösen.
Das Testergebnis der fast 4800 deutschen Teilnehmer lag sowohl beim Lesen als auch in Mathematik leicht über dem OECD-Durchschnitt. Frauen schnitten bei der Lesekompetenz besser ab als Männer - anders als bei der ersten OECD-Studie dieser Art im Jahr 2013. "Schon bei den Pisa-Untersuchungen in Schulen hatten Mädchen bessere Leseleistungen gezeigt", sagte Schleicher bei der Präsentation der Ergebnisse. Männer schnitten hingegen erneut besser im mathematischen Bereich ab.
Die Experten der Organisation stellten fest, dass sich mehr als ein Fünftel (22 Prozent) der Erwachsenen in Deutschland beim Lesen auf der niedrigsten Kompetenz-Stufe wiederfindet und so maximal in der Lage ist, kurze Texte mit einfachem Vokabular ansatzweise zu verarbeiten (OECD-Durchschnitt 26 Prozent). Die leistungsstarke Gruppe umfasste 14 Prozent der Erwachsenen (OECD-Durchschnitt: zwölf Prozent) und erreichte die beiden höchsten Lesekompetenzstufen. Sie können lange anspruchsvolle Texte verstehen und bewerten.
Ein ähnliches Bild ergab sich beim Rechnen. Jeder Fünfte gelangte bei den Tests nicht über einfaches Zählen und Grundrechnen hinaus (OECD-Schnitt: 25 Prozent). Eine fast ebenso große Gruppe findet sich in den beiden höchsten Leistungskategorien wieder (18 Prozent in Deutschland, 14 Prozent im OECD-Durchschnitt). Das Kompetenzniveau hängt dabei eng mit dem erreichten Schulabschluss zusammen.
Neben dem eigenen Bildungsniveau wirkte sich auch der Bildungsgrad der Eltern stark auf die Leistung der Teilnehmer in Deutschland aus. In fast keinem anderen der untersuchten Länder konnten Menschen, die mindestens einen Elternteil mit Hochschulabschluss haben, Texte laut OECD so viel besser verstehen als Menschen ohne einen Elternteil, der eine weiterführende Schule besucht hat.
Auch das Leistungsgefälle zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund war beträchtlich. Bei nach Deutschland eingewanderten Menschen lag die Lesekompetenz 75 Prozent unter dem Durchschnitt der deutschen Teilnehmer ohne Migrationshintergrund. Das ist der drittgrößte Unterschied innerhalb der OECD: Nur in Japan und Finnland liegen Einwanderer bei der Lesekompetenz noch weiter zurück. Wird der Bildungsgrad der eingewanderten Menschen mit berücksichtigt, beträgt der Abstand hierzulande immer noch 37 Prozent.
"In der zweiten Einwanderungsgeneration liegt Deutschland nicht mehr so weit hinten", betonte Schleicher indes. Bei hier geborenen Menschen mit eingewandertem Elternteil ist der Leistungsrückstand beim Textverständnis kleiner. Deutschland landete dabei mit weniger als 20 Prozent auf Platz neun unter den 31 untersuchten Ländern.
Auch zwischen den Altersgruppen zeigten sich Leistungsunterschiede. Die immer noch insgesamt guten Testergebnisse in Deutschland seien vor allem auf die Leistungen der älteren Generation zwischen 55 und 64 Jahren zurückzuführen, sagte der OECD-Bildungsdirektor. In anderen Ländern, etwa in Singapur, hätten vor allem die Jüngeren besser abgeschnitten.
(L.Garnier--LPdF)