Deutschland muss Vorratsdatenspeicherung nach EuGH-Urteil neu regeln
Deutschland muss das Speichern von Kommunikationsdaten zur Bekämpfung schwerer Kriminalität neu regeln: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg erklärte die bisherige, bereits seit fünf Jahren nicht mehr angewandte deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung am Dienstag für nicht vereinbar mit dem EU-Recht. In der Bundesregierung zeichnete sich eine Debatte darüber ab, wie eine Nachfolgeregelung genau aussehen könnte. (Az. C-793/19 und C-794/19)
Der EuGH entschied, dass die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger nicht ohne Anlass gespeichert werden dürften. Nur in Ausnahmefällen hält er eine begrenzte Datenspeicherung für zulässig: Wenn die nationale Sicherheit ernsthaft bedroht sei, dürften Verkehrs- und Standortdaten der Bürgerinnen und Bürger vorübergehend gespeichert werden. Eine solche Anordnung müsse aber gerichtlich oder von einer unabhängigen Behörde kontrolliert werden.
Im Kampf gegen schwere Kriminalität, für die nationale Sicherheit oder bei schwerer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit dürfe der Staat Verkehrs- und Standortdaten gezielt speichern oder sichern lassen, auch IP-Adressen dürften in solchen Fällen allgemein für einen begrenzten Zeitraum gespeichert werden. Es müssten aber "klare und präzise Regeln" gelten. Außerdem müsse sichergestellt sein, "dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen".
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte an, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung "zügig und endgültig" aus dem Gesetz zu streichen. Binnen ein bis zwei Wochen will er zudem einen Vorschlag für eine Nachfolgeregelung vorlegen. Buschmann wirbt dabei für das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, das die Speicherung von Kommunikationsdaten nur anlassbezogen und auf richterliche Anordnung zulässt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) drängte dagegen darauf, die Spielräume des EuGH-Urteils zu nutzen. Sie verwies dabei auf die Möglichkeit zur Speicherung von IP-Adressen sowie gezielte Speicheranordnungen für bestimmte Orte wie Bahnhöfe oder Flughäfen.
Rückendeckung für die Speicherung von IP-Adressen bekam Faeser von Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU). Er appellierte an die Bundesregierung, diese Möglichkeit bei der Verfolgung schwerster Straftaten und insbesondere auch bei Kindesmissbrauch zu nutzen. Buschmann warf Merz vor, hier zu blockieren.
Nach der vom EuGH beanstandeten deutschen Regelung von 2015 sollten Telekommunikationsanbieter bestimmte Daten ihrer Nutzerinnen und Nutzer vier oder zehn Wochen lang speichern. Dabei ging es darum, wer mit wem telefonierte, in welcher Funkzelle ein Handy eingeloggt war oder mit welcher IP-Adresse wie lange im Internet gesurft wurde. Seit 2017 wurde dies aber nicht mehr durchgesetzt, um die gerichtliche Klärung abzuwarten.
Der EuGH kritisierte in seiner Entscheidung, dass die Daten fast aller Deutscher erfasst würden, auch wenn es überhaupt keinen Anlass zur Strafverfolgung gebe. Aus diesen Daten könnten sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben gezogen und ein Profil der Einzelnen erstellt werden.
Schon die erste deutsche Regelung war 2010 gerichtlich gekippt worden, damals vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der EuGH erklärte vier Jahre später die zugrunde liegende europäische Richtlinie für unzulässig. Die Neuregelung von 2015 legte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den europäischen Richterinnen und Richtern vor.
Die Reaktionen in Deutschland fielen gemischt aus. Die Deutsche Polizeigewerkschaft erklärte, dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit mit dem Urteil erschwert werde. Die Gewerkschaft der Polizei mahnte eine "praxistaugliche Vorratsdatenspeicherung" an. Dafür gebe es noch Spielräume. Auch mehrere unionsgeführte Justizministerien der Länder forderten, Spielräume besonders im Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie zu nutzen.
Neben der FDP begrüßten Linke und Grüne das Urteil. "Die Vorratsdatenspeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte", teilten die grünen Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Helge Limburg mit. Der Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte erklärte, seine Partei lehne "jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung konsequent ab".
Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber äußerte sich erfreut. "Ab heute muss endgültig Schluss sein mit den Debatten über anlasslose Vorratsdatenspeicherungen", erklärte er. Der Digitalverband Bitkom forderte die Politik auf, "andere und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen".
(P.Toussaint--LPdF)