Rückschlag für Hoffnungen auf Deeskalation im Ukraine-Krieg
Schwerer Rückschlag für die Hoffnungen auf eine Deeskalation im Ukraine-Krieg: Das erste Treffen der Außenminister Russlands und der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffs vor zwei Wochen hat keine Annäherung gebracht. Der ukrainische Chefdiplomat Dmytro Kuleba sagte nach der Unterredung am Donnerstag im türkischen Antalya, sein Land werde sich "nicht ergeben". Die russische Armee erhielt ihre Belagerung großer ukrainischer Städte aufrecht und rückte näher auf die Hauptstadt Kiew vor.
Kiew wappnete sich für eine russische Großoffensive. Die Stadt sei "in eine Festung verwandelt worden", sagte Bürgermeister Vitali Klitschko im ukrainischen Fernsehen. "Jede Straße, jedes Gebäude, jeder Kontrollpunkt sind verstärkt worden." Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs setzten die russischen Streitkräfte in der Nacht zum Donnerstag ihre "offensive Operation" zur Einkesselung der Hauptstadt fort.
AFP-Reporter sahen, wie gepanzerte russische Fahrzeuge am Nordostrand von Kiew auffuhren. Ukrainische Soldaten berichteten von schweren nächtlichen Gefechten um die Kontrolle einer Hauptzufahrtsstraße zur Hauptstadt. Ein Hagel russischer Grad-Raketen ging den AFP-Korrespondenten zufolge auf die Ortschaft Welyka Dymerka nieder, die fünf Kilometer von der Kiewer Stadtgrenze entfernt liegt. Welyka Dymerika wurde von seinen Einwohnern jedoch bereits fast völlig verlassen.
Auch Kiew leert sich zunehmend. Klitschko zufolge flüchteten seit Kriegsbeginn bereits die Hälfte der Einwohnern aus der Hauptstadt: "Nach unseren Informationen hat einer von zwei Bewohnern von Kiew die Stadt verlassen." Im Großraum Kiew lebten vor dem Krieg rund 3,5 Millionen Menschen.
Kuleba setzte sich nach eigenen Worten bei seinem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow vergeblich für eine 24-stündige Feuerpause ein. Lawrow habe bei dem von der Türkei vermittelten Gespräch von ihm verlangt, dass die Ukraine "kapitulieren" solle, ansonsten werde Russland seine Angriffe fortsetzen. Dazu sagte Kuleba: "Die Ukraine hat sich nicht ergeben, sie ergibt sich nicht, und sie wird sich nicht ergeben."
Der ukrainische Außenminister sagte aber auch, er habe mit Lawrow weitere Gespräche "in diesem Format" vereinbart. Der russische Chefdiplomat ließ indessen ein mögliches weiteres Treffen mit Kuleba offen. Er betonte, zum "russisch-ukrainischen Format in Belarus" gebe es "keine Alternative". Damit bezog sich Lawrow auf die bisherigen Treffen an der belarussischen Grenze zur Ukraine, an denen aber keine hochrangigen Regierungsmitglieder teilnahmen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der französische Präsident Emmanuel Macron drangen bei einem gemeinsamen Telefonat mit Russlands Staatschef Wladimir Putin erneut auf eine Verhandlungslösung. Jede Lösung müsse "durch Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland erfolgen", sagten sie laut Berliner Regierungskreisen. In Versailles sollte am Donnerstagabend ein zweitägiger EU-Sondergipfel zum Ukraine-Krieg beginnen.
Für internationales Entsetzen sorgte weiterhin der russische Bombenangriff auf eine Kinder- und Geburtsklinik in der belagerten Hafenstadt Mariupol am Mittwoch. Mehrere führende EU-Politiker verurteilten den Angriff als "Kriegsverbrechen", darunter der Außenbeauftragte Josep Borrell und Macron. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich in einer Twitter-Botschaft überzeugt, dass es sich um ein Kriegsverbrechen handle, und forderte eine "vollständige Untersuchung".
Bei dem Angriff auf die Klinik waren nach ukrainischen Angaben mindestens drei Menschen getötet worden, darunter ein kleines Mädchen. Mindestens 17 Angestellte wurden nach Behördenangaben verletzt. Lawrow begründete den Angriff damit, dass das Hospital von "ukrainischen Nationalisten" als Basis genutzt worden sei. Die Krankenschwestern und das Personal seien "vor die Tür gesetzt worden". Am Abend versicherte das russische Verteidigungsministerium sogar, der Angriff sei ein "Inszenierung" ukrainischer "Nationalisten". Die russische Luftwaffe habe kein Ziel in Mariupol zerstört.
Seit Beginn der russischen Invasion wurden nach ukrainischen Angaben insgesamt bereits mindestens 71 Kinder getötet. Mehr als hundert Kinder seien zudem verletzt worden, teilte die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, mit.
Über zwischen Russland und der Ukraine vereinbarte Flüchtlingskorridore wurden am Donnerstag erneut Zivilisten aus besonders umkämpften Zonen hinausgebracht. Am Mittwoch waren nach Angaben des ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj mehr als 60.000 Menschen auf solchen Fluchtrouten gerettet worden.
(Y.Rousseau--LPdF)