Selenskyj wirft Russland "Gefangennahme" von Flüchtlingen aus Mariupol vor
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat russische Streitkräfte beschuldigt, eine Gruppe von Flüchtlingen aus der belagerten Hafenstadt Mariupol auf einer zuvor vereinbarten Fluchtroute "einfach gefangen genommen" zu haben. In seiner abendlichen Videobotschaft verwies der Staatschef am Dienstag erneut auf das Leid der seinen Angaben zufolge noch 100.000 Menschen in der Stadt, die "ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Medikamente, unter ständigem Beschuss" ausharren müssten.
Die Großstadt hatte vor Kriegsbeginn noch 450.000 Einwohner. Sie ist für beide Seiten strategisch wichtig, da sie der letzte große Hafen unter ukrainischer Kontrolle am Asowschen Meer ist und eine direkte Landverbindung zwischen der von Russland annektierten Krim-Halbinsel sowie den von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebieten in der Ostukraine verhindert.
Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa sagte der Nachrichtenagentur AFP am Dienstag: "Bei dem, was ich jetzt in Mariupol sehe, handelt es sich nicht um Krieg, sondern um Völkermord." "Kriegsschauplätze haben einige Regeln, einige Prinzipien. Was wir in Mariupol sehen, [hat] überhaupt keine Regeln".
Seit dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar sind nach Angaben der ukrainischen Staatsanwaltschaft mindestens 117 Kinder in dem Krieg getötet worden. 548 Schulen wurden demnach beschädigt, 72 davon vollständig zerstört.
Selenskyj bekräftigte am Abend seine Forderung nach direkten Gesprächen mit seinem russischen Kontrahenten Wladimir Putin. Dabei werde er versuchen, "alles anzusprechen, was Russland ärgert und missfällt". "Wir arbeiten weiterhin auf verschiedenen Ebenen und drängen Russland zum Frieden", sagte der Staatschef. "Es ist sehr schwierig. Manchmal skandalös. Aber Schritt für Schritt kommen wir voran."
Wie er zuvor auf Twitter mitgeteilt hatte, hat Selenskyj Papst Franziskus als Vermittler vorgeschlagen. In der Videobotschaft fügte er hinzu, er habe das Oberhaupt der katholischen Kirche "gebeten, in diesem sehr wichtigen Moment in unser Land zu kommen". "Und ich glaube, dass wir diesen wichtigen Besuch organisieren können, der jedem von uns, jedem Ukrainer, eine bedeutende Unterstützung bietet".
Unterdessen ist der russische Vormarsch weitgehend zum Stillstand gekommen. Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, sagte, den russischen Truppen gingen die Vorräte aus. Das Militär habe Kommunikationsprobleme und müsse auf Handys zurückgreifen. Der ukrainischen Armeeführung zufolge verfügen die russischen Truppen nur noch über Munition, Lebensmittel und Treibstoff für drei Tage.
Das ukrainische Außenministerium erklärte zudem, dass sich die Lage in der von Russland besetzten Großstadt Cherson im Süden rapide verschlechtert. Es beschuldigte Moskau, einen Hilfskorridor für die Evakuierung von Zivilisten und den Transport von Lebensmitteln zu verweigern.
(F.Bonnet--LPdF)