Frankreich blickt kurz vor Misstrauensantrag politischer Ungewissheit entgegen
Frankreich blickt wenige Stunden vor einer Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einer ungewissen politischen Zukunft entgegen. Der rechtspopulistische Parteichef Jordan Bardella verteidigte am Mittwoch die Entscheidung seiner Partei, den Antrag der linken Opposition zu unterstützen. "Natürlich stimmen wir für den Misstrauensantrag", bekräftigte er im Sender France Inter. "Diese Regierung ist schlecht für die Franzosen", fügte er hinzu.
Die Nationalversammlung debattiert von 16.00 Uhr an über zwei Misstrauensanträge, zunächst über den des Linskbündnisses Neue Volksfront und anschließend über einen, den Bardellas Partei Rassemblement National (RN) eingereicht hatte. Mit der Abstimmung wird am Abend gerechnet.
Sollte es keinen Coup in letzter Minute geben, dürfte das Mandat der Regierung nach der ersten Abstimmung bereits beendet sein. Sie bliebe dann geschäftsführend im Amt bis Frankreichs Präsident Emmanuel Macron - der erst am Abend von einem Staatsbesuch aus Saudi-Arabien zurückkommt - einen neuen Premierminister ernennt.
Bardella wies Vorwürfe zurück, seine Partei mache gemeinsame Sache mit ihrem politischen Erzfeind. "Es geht darum, die Regierung abzulehnen", betonte er. Das Interesse seiner Partei sei allein "das Wohl des Volkes". Der Antrag der Linken habe die meisten Aussichten auf Erfolg. "Das bedeutet nicht, dass wir ein Bündnis mit den Linken eingehen", betonte er. Die nächste Regierung müsse im Gegenteil die Forderungen der RN berücksichtigen, die die größte Fraktion in der Nationalversammlung stelle.
Premierminister Michel Barnier hatte sich am Vorabend optimistisch gezeigt, dass der Sturz der Regierung noch abzuwenden sei. Er hatte an das Verantwortungsgefühl der Abgeordneten appelliert, zugleich aber auch der RN-Fraktionschefin Marine Le Pen vorgeworfen, in den Verhandlungen mit ständig neuen Forderungen den Bogen überspannt zu haben.
Im Hintergrund steht Barniers Entscheidung, den Sozialhaushalt mit Hilfe des Verfassungsartikels 49.3 durchzusetzen. Dieser erlaubt eine Verabschiedung ohne Abstimmung in der Nationalversammlung, wenn die Regierung ein anschließendes Misstrauensvotum übersteht.
Sollte Barniers Regierung stürzen, dann wäre sie mit gerade Mal drei Monaten Amtszeit die kürzeste in der jüngeren Geschichte Frankreichs. Es wäre das zweite Mal überhaupt, dass eine Regierung nach einem Misstrauensvotum zurücktreten muss. 1962 war die Regierung von Premierminister Georges Pompidou zurückgetreten, anschließend hatte es Neuwahlen gegeben. Dieses Mal sind Neuwahlen frühestens im Juli 2025 möglich.
Die Regierung muss bis zum Jahresende eigentlich drei Haushaltsgesetze verabschieden. Sollte sie durch das Misstrauensvotum stürzen, bliebe einer neuen Regierung nicht genügend Zeit, den Haushalt nach der üblichen Prozedur zu verabschieden. Sie müsste auf eine in der Verfassung vorgesehene Notmaßnahme zurückgreifen. Dies wäre das erste Mal in der jüngeren Geschichte Frankreichs.
(A.Renaud--LPdF)