Le Pays De France - Westen drängt in Syrien auf "inklusiven" Übergangsprozess - USA warnen vor neuen Konflikten

Paris -
Westen drängt in Syrien auf "inklusiven" Übergangsprozess - USA warnen vor neuen Konflikten
Westen drängt in Syrien auf "inklusiven" Übergangsprozess - USA warnen vor neuen Konflikten / Foto: © AFP

Westen drängt in Syrien auf "inklusiven" Übergangsprozess - USA warnen vor neuen Konflikten

Nach dem Sturz des langjährigen syrischen Machthaber Baschar al-Assad durch Islamisten fordert der Westen einen alle Bevölkerungsgruppen und Religionen umfassenden Übergangsprozess. Ziel müsse eine "glaubwürdige, inklusive" Regierung sein, forderten am Donnerstag die G7-Staaten. US-Außenminister Antony Blinken warnte bei einer Nahost-Reise vor neuen Konflikten in Syrien. Die von den Islamisten eingesetzte Übergangsregierung kündigte derweil die Aussetzung von Verfassung und Parlament für drei Monate an - zugleich sicherte sie die Schaffung eines "Rechtsstaates" zu.

Textgröße:

Die sieben großen Industriestaaten (G7) forderten von den neuen Machthabern den Schutz der Menschenrechte, einschließlich derer von Frauen und Minderheiten. Es sei zudem wichtig, "das Assad-Regime für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen". Die G7 würden mit einer künftigen syrischen Regierung, die sich an die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte halte und die aus diesem Prozess hervorgehe, zusammenarbeiten und sie uneingeschränkt unterstützen, hieß es weiter.

US-Außenminister Blinken startete derweil seine neue Nahost-Mission in Jordanien, ehe er später in der Türkei landete. In Jordanien traf Blinken unter anderem mit König Abdullah II. zusammen. Dabei sprach er sich nach Angaben seines Ministeriums für einen "inklusiven Übergang" aus. Dieser müsse zu einer international ansprechbaren und "repräsentativen syrischen Regierung führen, die vom syrischen Volk gewählt wird". Blinken sagte in Jordanien zudem, es sei "sehr wichtig, dass wir alle versuchen sicherzustellen, dass wir keine zusätzlichen Konflikte auslösen".

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) telefonierte mit Abdullah II., dessen Land in der Region eine wichtige Vermittlerrolle innehat. Beide waren sich dabei nach Angaben Berlins einig, dass ein "inklusiver politischer Prozess in Syrien nun sehr wichtig" sei. "Jetzt ist unsere Aufgabe zu gucken, dass dort ein Leben möglich wird, sicher, wo man ohne Angst sich bewegen kann" und wo "die ganz unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen zusammenleben", sagte Scholz im Deutschlandradio Kultur. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte in Berlin als Ziel des Übergangsprozesses die Abhaltung von "freien Wahlen".

Ungeachtet internationaler Kritik setzte Israel derweil seine Luftangriffe in Syrien fort. Ziel der jüngsten Angriffe seien Militäreinrichtungen in den Küstenregionen Latakia und Tartus gewesen, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Auch in der Nähe von Damaskus wurde demnach angegriffen.

Nach dem Sturz von Assad am Sonntag war die israelische Armee in die Pufferzone auf den Golanhöhen eingerückt, zudem flog die israelische Armee hunderte Luftangriffe auf syrische Militärziele. US-Außenminister Blinken verteidigte in Jordanien die massiven israelischen Luftangriffe auf Ziele in Syrien. Das Ziel Israels sei es, sicherzustellen, dass die von der syrischen Armee zurückgelassene militärische Ausrüstung "nicht in falsche Hände gerät - in die von Terroristen, Extremisten und so weiter".

Die massiven israelischen Angriffe auf das Nachbarland stießen international allerdings auf Kritik. Unter anderem erklärte der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, dass die Angriffe gegen das Völkerrecht verstoßen. Es gebe "absolut keine völkerrechtliche Grundlage, um ein Land, das man nicht mag, präventiv (...) zu entwaffnen", sagte Ben Saul. "Wenn das der Fall wäre, wäre das ein Rezept für weltweites Chaos."

In Syrien hatten am Sonntag Kämpfer unter der Führung der islamistischen HTS-Milz Damaskus erobert und Assad gestürzt, der nach Russland floh. Damit bereiteten sie der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie ein Ende, die 1971 mit der Machtübernahme von Baschar al-Assads Vater Hafis al-Assad begonnen hatte.

Mit der Machtübernahme durch die Islamisten stürzte Syrien ins Ungewisse: Die Miliz HTS ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida hervorgegangen, hat nach eigenen Angaben aber seit 2016 keine Verbindungen mehr zu Al-Kaida. Ihr Anführer Mohammed al-Dscholani präsentiert sich moderat. Viele westliche Staaten, darunter die USA, stufen die Miliz aber als Terrororganisation ein.

Der Chef der von der HTS eingesetzten Übergangsregierung ein, Mohammed al-Baschir, versprach am Mittwoch, die Rechte aller religiösen Gruppen zu garantieren. "Gerade weil wir islamisch sind, werden wir die Rechte aller Menschen und aller Glaubensrichtungen in Syrien garantieren", sagte er. Zugleich rief er die Millionen geflüchteten Syrer im Ausland dazu auf, in ihre Heimat zurückzukehren.

Am Donnerstag dann sagte der Sprecher für politische Angelegenheiten der neuen Machthaber, Obaida Arnaout, der Nachrichtenagentur AFP, es werde ein "Rechts- und Menschenrechtsausschuss" gebildet, "um die Verfassung zu prüfen und dann Änderungen vorzunehmen". Zunächst solle es eine dreimonatige Übergangszeit geben. Arnaout versicherte weiter, die neuen Machthaber wollten nach mehr als einem halben Jahrhundert Herrschaft der Assad-Familie nun "einen Rechtsstaat" errichten. Alle, die "Verbrechen gegen das syrische Volk begangen haben", sollten "gemäß den Gesetzen vor Gericht gestellt" werden.

Ermittler der Vereinten Nationen gaben an, seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien geheime Listen mit 4000 mutmaßlichen Verantwortlichen für schwere Verbrechen in Syrien zusammengestellt zu haben. Es sei "sehr wichtig", dass die Haupttäter "vor Gericht gestellt werden", sagte Linnea Arvidsson, die die UN-Untersuchungskommission zu Syrien (COI) koordiniert.

(R.Dupont--LPdF)