Steinmeier betont Notwendigkeit ethischer Standards bei Digitalisierung
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat angesichts des digitalen Wandels und des Einflusses sozialer Medien die Notwendigkeit internationaler ethischer Standards betont. "Ethik und Innovation dürfen keine Frage des Entweder-oder sein und werden", sagte Steinmeier am Montag bei der Ergebnispräsentation des internationalen Forschungsprojekts "Ethik der Digitalisierung". Der demokratische Rechtsstaat funktioniere, aber "noch besser wäre es, wenn die großen Plattformen ihrer eigenen Verantwortung für die Demokratie endlich aus eigenem Antrieb gerecht würden".
Steinmeier begrüßte "ausdrücklich" die Karlsruher Entscheidung zu der Grünen-Politikerin Renate Künast im Zusammenhang mit Beleidigungen durch Facebook-Nutzer. "Es ist eine Entscheidung, die aus meiner Sicht die wichtige Gesetzgebung der letzten Jahre ergänzt und den Bewertungsmaßstab für Hass und Angriffe im Netz klarstellt", sagte er. "Niemand muss es tatenlos ertragen, im Netz beschimpft und beleidigt zu werden, auch keine Politikerin und kein Politiker."
Das Bundesverfassungsgericht hatte vergangene Woche frühere Gerichtsentscheidungen aufgehoben, wonach nur ein Teil der gegen Künast gerichteten Hasskommentare als strafbare Beleidigung eingestuft und ihr nur zum Teil ein Anspruch auf Herausgabe der Nutzerdaten zugestanden worden war.
Jeder müsse sich im Zweifel zur Wehr setzen können, betonte der Bundespräsident und verwies auch auf Hetze etwa gegen ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. "Wenn das blindwütige Gebrüll einiger weniger die vernünftige Mehrheit aus dem öffentlichen Raum verdrängt, wenn die Wahrnehmung öffentlicher Ämter vor Ort immer unerträglicher wird, dann vergiftet das die Demokratie an der Wurzel", mahnte Steinmeier. "Und das dürfen wir eben nicht zulassen."
Gerade die sozialen Medien böten "eben keinen idealen Debattenraum, wenn extreme Meinungen automatisch und besonders große Aufmerksamkeit genießen dürfen", sagte der Bundespräsident. Die Logik der sozialen Medien werde "von innen wie auch von außen gezielt ausgenutzt, um Desinformation und Propaganda zu verbreiten – gerade jetzt, rund um den Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze, sehen und spüren wir das ganz besonders", so Steinmeier.
Er verwies zugleich auf "konkrete demokratiepolitische Versäumnisse", etwa bei der digitalen Aufklärung und im Umgang mit denen, "die sich mit digitalen Mitteln gegen die Demokratie wenden". Steinmeier nannte auch "Versäumnisse der den Markt beherrschenden digitalen Plattformen". Er fügte hinzu: "Bloß weil das Unsägliche täglich, ja sekündlich geschieht, dürfen wir es niemals als Normalität akzeptieren. Wir dürfen niemals zulassen, dass Menschen im digitalen Dauerfeuer jeden Schutz verlieren."
Mit Blick auf den internationalen Ansatz des Projekts "Ethik der Digitalisierung" sagte Steinmeier: "Wenn wir aber einen weltweiten Wettbewerb hin zum geringstmöglichen Standard vermeiden wollen, dann brauchen wir die Debatte über ethische Standards, die an möglichst vielen Orten der Welt gelten."
(A.Renaud--LPdF)